Allgemeines
In der Kinder- u. Jugendpsychiatrie (KJP) werden Medikamente im Allgemeinen mit Zurückhaltung verordnet und sollten immer eingebettet sein in einen gesamten Behandlungsplan. Dieser Behandlungsplan beinhaltet immer die Aufklärung der Familie über das Krankheitsbild und eingehende individuelle Beratungsgespräche. Außerdem können parallel oder zeitlich gestaffelt Psychotherapie oder übende/ fördernde Therapien in verschiedenster Form, sowie psychosoziale Maßnahmen wie z.B. Beratung der Schule, helfende Maßnahmen für die Familie u.ä. wichtige Bestandteile sein.
Indikationen
In einigen Situationen kann es neben Aufklärung, Beratung und/oder Therapie nötig sein, ein Kind oder Jugendlichen mit Medikamenten zu behandeln, um ihm angemessen helfen zu können. Die meisten bei Kindern und Jugendlichen auftretenden Störungen erfordern ein sogenanntes „multimodales“ – also aus verschiedenen Bausteinen und Herangehensweisen zusammengesetztes – Vorgehen, wobei Medikamente unter Umständen auch einen Baustein darstellen können.
Dies ist v.a. bei schweren Krankheitsbildern wie z.B. einer Psychose, aber auch bei anderen Störungen mit stärkerem Schweregrad der Fall, wenn durch die Erkrankung die weitere Entwicklung des Kindes/Jugendlichen so beeinträchtigt ist, dass ein alleiniges nicht-medikamentöses Vorgehen einen Nachteil für die Entwicklung bedeuten würde. Es gibt in der KJP viele hilfreiche Medikamente, die unter sorgfältiger Abwägung von Vor- u. Nachteilen dann dem Kind/Jugendlichen auch nicht vorenthalten werden sollten. Oft erfüllt das Medikament ein Art „Unterstützungs-Funktion“, ähnlich wie der Gips beim gebrochenen Knochen, der ein Heilen erst ermöglicht, und später wieder abgenommen werden kann.
Aufklärung
Vor jeder Medikation werden die Eltern bzw. Sorgeberechtigten ausführlich über das Medikament, Wirkung und Nebenwirkung aufgeklärt. Die Entscheidung, ein Medikament zu geben, wird nach Empfehlung durch den Arzt gemeinsam mit den Eltern erarbeitet. Die Medikation erfolgt nur mit Einverständnis der Eltern (bzw. Sorgeberechtigten).
Wichtig ist, sich darüber zu verständigen, was sich durch das Medikament bessern soll, um so auch die Wirksamkeit beurteilen zu können. Sollte ein Medikament keine Wirkung oder zu starke Nebenwirkungen zeigen, verordnet der Arzt es nicht weiter, sondern sucht nach anderen Wegen. Fragen zum Medikament können jederzeit an den Arzt gerichtet werden, auch per Telefon oder Fax.
„Off-Label“- Verordnungen / “individueller Heilversuch“
Eine Besonderheit in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen ist, dass es zu vielen Medikamenten, die für Erwachsene zugelassen sind, keine Zulassung für Kinder (und Jugendliche) gibt, da für diese Altersgruppe keine ausreichenden Zulassungsstudien vorliegen. Das liegt v.a. daran, dass die Fallzahlen der erkrankten Kinder oft zu gering sind um in das Raster der Zulassungsstudien zu passen.
Das Fehlen einer offiziellen Zulassung ist aber keinesfalls gleichbedeutend mit Mängeln an Sicherheit und Wirksamkeit der Medikamente, es liegen nur nicht genügend kontrollierte Studien vor.
Wird einem Kind/Jugendlichen ein Medikament verordnet, das für diese Altersgruppe nicht zugelassen ist, spricht man vom „individuellen Heilversuch“ oder „Off-Label-Gebrauch“. Dieser Einsatz der Medikamente ist aber nicht zu verwechseln mit einem „Experimentieren“, sondern stütz sich in jedem Fall auf eine breite klinische Erprobung (d.h. viele Ärzte und Kliniken haben positive Erfahrungen mit diesem Medikament bei Kindern in der entsprechenden Behandlungssituation), oft auch auf die Leitlinien-Empfehlungen der deutschen Gesellschaft für Kinder- u. Jugendpsychiatrie und in jedem Fall auf die positive Einschätzung des behandelnden Arztes im individuellen Fall. Würde der Arzt nicht manchmal auf diese Möglichkeit des „individuellen Heilversuches“ zurückgreifen, würde er vielen Kindern eine gute Behandlung vorenthalten. Die deutschen Gerichte sind sich dieser Situation bewusst und „der Arzt ist nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichtes sogar zum Off-Label-Gebrauch verpflichtet (!!), wenn dies dem wissenschaftlichen Stand entspricht, die Datenlage begründete Aussicht auf Behandlungserfolg erlaubt und keine vergleichbaren Therapien zur Verfügung stehen“ (Bandelow, Banaschewski, Handbuch der Psychopharmakologie im Kindes- und Jugendalter, 2006 Hogrefe).